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Leserbriefe |
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Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 26. Juni 1996 |
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Geschäfte
mit Diktaturen
"Die
Verhältnisse in China, besonders in Tibet, sind verbesserungsfähig",
schreibt Michael Glos, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Deutschen
Bundestag, in der Rubrik "Fremde Federn" (F.A.Z. vom 22.
Juni). Dieser ungeheuerliche Euphemismus ist wohl der peinliche Versuch,
die chinesischen Machthaber nach der "abartigen Tibet-Resolution"
- so nach Pekinger Bezeichnung - wieder gnädig zu stimmen. Glos
meint, Deutschland müsse "die ungeheuren Potentiale der
größten Wachstumsregion nutzen, wollen wir führende
Exportnation bleiben". Unabhängig davon, ob dieser Zweck
Geschäfte mit einer menschenverachtenden Diktatur rechtfertigt,
sollten sich die verantwortlichen Politiker einmal die Frage stellen,
ob ein nennenswerter volkswirtschaftlicher Nutzen vor Einführung
der Marktwirtschaft in China überhaupt zu erzielen ist. |
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Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 13. Mai 1997 |
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Bei
gefährdetem Kindeswohl
Der
Einschätzung Friedrich Karl Frommes in seinem Artikel über
die "Juristenvereinigung Lebensrecht" (F.A.Z. vom 6. Mai),
das Thema Abtreibung gelte vorerst als erledigt, kann ich nicht uneingeschränkt
zustimmen. Die Abtreibungsproblematik hat nämlich auch eine -
im juristischen Schrifttum bislang zu Unrecht wenig beachtete - zivilrechtliche
Dimension. Bereits unter Geltung der Indikationenregelung ist es in
mehreren Fällen zu vormundschaftsgerichtlichen Untersagungen
von Abtreibungen gekommen (etwa durch das Amtsgericht Celle, Entscheidung
vom 9. Februar 1987, veröffentlicht in der "Neuen Juristischen
Wochenschrift" 1987, Seite 2307). Daß auch nach Einführung
der Fristenregelung die Vormundschaftsgerichte befugt und verpflichtet
sind, verfassungsrechtlich unzulässigen Abtreibungen entgegenzuwirken,
habe ich in meiner im vergangenen Jahr erschienenen Untersuchung "Die
Rechtsstellung des Vaters zu seinem ungeborenen Kind unter Geltung
einer Fristenregelung" nachgewiesen. Rechtsgrundlage ist Paragraph
1666 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der Maßnahmen des Vormundschaftsgerichts
gebietet, wenn das Kindeswohl gefährdet ist und die Eltern nicht
gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Dies ist bei
einem rechtswidrigen, wenn auch straflosen Schwangerschaftsabbruch
der Fall. |
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Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 16. Mai 2002 |
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Gemilderter
Historismus
Zum Artikel "Ein Wort an den Bundestag in letzter Minute"
(F.A.Z.-Feuilleton vom 10. Mai): Michael S. Cullen hat recht, die
Architektur des neuen Stadtschlosses muß sich nach der Nutzung
richten - aber auch nach der Umgebung. Und zu dieser Umgebung gehört
das ehemalige Staatsratsgebäude. Mein Vorschlag: Die beiden Gebäude
sollten korrespondieren. Bekanntlich enthält
die Fassade des Staatsratsgebäudes die Nachbildung des Balkons
des Stadtschlosses, von dem 1918 die Republik ausgerufen worden ist.
Dementsprechend sollte die Fassade des Stadtschlosses an einer Stelle
wie die Fassade des Staatsratsgebäudes gestaltet werden. Die
Gebäude würden sich dann aufeinander beziehen, und der Historismus,
der in der Wiedererrichtung des Schlosses liegt, wäre gemildert. |
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Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 10. Oktober 2003 |
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Ein
Gedankenspiel
Die
Absurdität der gegenwärtigen Auseinandersetzung über
das "Zentrum gegen Vertreibung" (zum Beispiel "Rau
mahnt zu europäischem Dialog", F.A.Z. vom 8. September)
mag folgendes Gedankenspiel verdeutlichen: Eine liberale, traditionsbewußte
Familie. Der Urgroßvater aber war ein Massenmörder. Die
Familienmitglieder sind sich jedoch einig, daß man auch zu diesem
Teil der Familiengeschichte stehen muß. Deshalb soll in dem
Haus der Familie, das mit vielen "Ahnenbildern" geschmückt
ist, auch ein Porträt des Urgroßvaters aufgehängt
werden - mit einem Hinweis auf dessen Schuld. Die Kinder sprechen
sich dafür aus, das Bild an einer eher unauffälligen Stelle
im Treppenhaus aufzuhängen. Die Gäste der Familie sollen
dann, wenn es sich ergibt, zu dem Bild geführt werden. Aber die
Eltern bestimmen: Das Bild des Urgroßvaters wird, damit jeder
Besucher es sofort sieht, im Wohnzimmer aufgehängt. Die Kinder
finden sich damit ab, machen aber nach einer Weile geltend, daß
auch der Tante gedacht werden müsse, die ein Nachbar vergewaltigt
und erschlagen hat. Die Idee, ein Porträt der Tante aufzuhängen,
heißen alle Familienmitglieder gut. Den Ort setzen die Eltern
aber wieder gegen den Willen der Kinder fest: Das Bild der Tante wird
nicht etwa im Heim der Familie, sondern in dem Haus aufgehängt,
das einst dem Mörder der Tante gehörte und in dem die Tat
geschah. Außerdem soll mit dem Bild nun aller Frauen gedacht
werden, die jemals - von wem auch immer - vergewaltigt und ermordet
wurden. Das Porträt wird zudem um den Hinweis ergänzt, daß
die Tante die Tat provoziert habe. |
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Frankfurter
Allgemeine Zeitung vom 8. August 2006 |
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Als
Rechtsanwalt, der jahrelang in einer Großkanzlei gearbeitet
hat, und Vater stimme ich der Einschätzung von Heinrich Wefing
in seinem Artikel "Im Zweifel für den Mann" (F.A.Z.
vom 12. Juli 2006) zu: Der geringe Frauenanteil in deutschen Großkanzleien
ist ein Mißstand. Allerdings ist die Sichtweise, die in Wefings
Artikel zum Ausdruck kommt, Teil des Problems. Als Ursache für
den geringen Frauenanteil macht Wefing die Schwierigkeit aus, die
Betreuung eines Kindes mit dem Arbeitsalltag in der Großkanzlei,
der eine, so Wefing, "mörderische Omnipräsenz"
erfordert, zu verbinden. Damit weist er die Aufgabe der Kinderbetreuung
einseitig der Mutter zu. Dieses gesellschaftliche Denken ist noch
immer weit verbreitet. So werden zum Beispiel Väter in Bewerbungsgesprächen
nicht gefragt, wie sie ihre Berufstätigkeit mit der Betreuung
ihrer Kinder vereinbaren können - diese Frage wird nur an Mütter
gerichtet (und zwar stets). Viele Mütter machen sich dieses traditionelle
Rollendenken, das den Vater von der Kinderbetreuung ausklammert, bewußt
oder unbewußt zu eigen und betrachten es als ihr höchstpersönliches
Problem, Beruf und Kinder miteinander zu verbinden. Sollen die Frauenanteile
in Großkanzleien und anderen Unternehmen steigen, ist zunächst
einmal ein Umdenken erforderlich: Beruf und Kinder miteinander zu
verbinden, muss als gemeinsames Problem oder - positiv formuliert
- als gemeinsame Aufgabe beider Elternteile angesehen werden. Erst
mit dieser Sichtweise können dann auch sinnvolle Konzepte zur
Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft entwickelt werden. |
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