Emil Kaler-Reinthal
 
Emil Kaler-Reinthal (1850 - 1897)
 
Lebenslauf
 
27. Juni 1850 Geburt in Wien als nichtehelicher Sohn der Wilhelmine v. Kaler zu Lanzenheim (1824 - 1906) und des Andreas Luckmann (? - 1852), Postbeamter
1870 - 1885 (mit Unterbrechungen) Studium an den Universitäten Graz, Wien, Zürich und Basel (Philosophie, Geschichte, Philologie); Promotion zum Doktor der Philosophie (Thema: "Die Ethik des Utilitarismus")
1871 - 1872 Vortragender des Wiener Arbeiter-Bildungsvereins; Redakteur der Wochenzeitschrift "Die Glocke", Wien; 15. - 17. Juni 1872: Teilnahme am ersten allgemeinen deutschen Gewerkschaftskongreß in Erfurt
1873 - 1875 Exil in Deutschland (nach Verurteilung in Österreich wegen "Aufreizung"); Redakteur der "Nordhäuser Zeitung", Nordhausen
1875 - 1877 Redakteur der "Gleichheit", Wien; Führungsmitglied der Arbeiterpartei
1878 - 1879 Schriftleiter des Zentralorgans "Der Sozialist", Wien
1879 - 1880 Inhaftierung wegen Majestätsbeleidigung
seit 1881 Freier Mitarbeiter der "Wahrheit", Wien
1882 - 1887 Aufenthalt in der Schweiz; Redakteur der Parteiorgane "Der Sozialdemokrat", Zürich, und "Bürgerzeitung", Hamburg
1887 Veröffentlichung seiner Abhandlung "Wilhelm Weitling. Seine Agitation und Lehre im geschichtlichen Zusammenhange dargestellt" in der Reihe "Sozialdemokratische Bibliothek"; Austritt aus der Arbeiterpartei
   
Wilhelm Weitling (1808 - 1871), erster deutscher Theoretiker des Kommunismus
   
1887 - 1889 Tätigkeit für diverse Zeitungen und Zeitschriften (u.a. "Deutsche Worte", Wien)
1889 3. Januar: Abschiedsbrief an Victor Adler (Bruch mit der - nunmehr auch in Österreich auf Marx und Engels ausgerichteten - Sozialdemokratie); Veröffentlichung der Schrift "Die Moral der Zukunft"
   
Victor Adler (1852 -1918), 1889 - 1918 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs
   
1889 - 1890 Redakteur der "Deutschen Volkszeitung", Reichenberg
1890 - 1895 Redakteur der "Deutschen Zeitung", Wien
1895 - 1897 Redakteur des "Tiroler Tagblatts", Innsbruck; 22. Februar 1897: Freitod in Innsbruck
   

"Moral der Zukunft"

Im "Epilog" seiner Biographie "Emil Kaler-Reinthal, Sozialethiker und früher österreichischer Arbeiterführer", erschienen 1992 im Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar, schreibt Klausjürgen Miersch unter anderem:

"Eigenes Erleben öffnete dem jungen Manne die Augen für die Nöte Verlassener und Benachteiligter und zugleich für das Notwendige. [...] Grazer Freigeistigkeit - Nachklang von 1848 und zugleich neue Bürger-Bewegung nach dem Sturz des Neoabsolutismus - wurde zu Kaler-Reinthals demokratisch-liberaler Nährmutter. [...]

Wenn er als junger Mann - ein 'Juso' sui generis - bisweilen auch recht radikal und forsch auftrat, so doch nie als ein 'Zerstörer'. Destruktives lag nicht in seinem Blickfeld. [...] Haß jeder Art, auch solcher etwa zugunsten des Proletariats, war ihm zuwider. [...] Die Unfähigkeit, zu hassen, war wesentlicher Grund dafür, daß er Karl Marx nicht zu 'rezipieren' vermochte. Zwar zollte er dem genialen Geist hohen Respekt; zugleich aber warf er dem Giganten ein von 'unversöhnlichem Haß' bestimmtes Fühlen und Denken vor. [Er] wies [...] revolutionären Radikalismus und Terror weit von sich. [...]

In proletarischem Internationalismus sah Kaler-Reinthal eine unzulässige politisch-soziale Verengung. [...] Im Sinne einer 'Moral der Zukunft' sollte ein brüderliches Band ohne jegliche Diskriminierung alle Menschen guten Willens umschlingen. Hier war er Kosmopolit im bestem Sinne. [...]

Arm trat Emil Kaler-Reinthal in die Welt; Not und Verfolgung kennzeichneten seine Lebensbahn; elend schied er aus dem Dasein. [...] Gewiß war es ein Leben, in dem rein äußerlich wenig 'erreicht' wurde. Aber dennoch ein Weg, auf dem - allem Dunkel zum Trotz - über weite Strecken eine glänzende Spur zeitlos nachleuchtet."

Taufkirche in Götterswickerhamm (Niederrhein) Rafael, Justitia, 1511